Vom 29.09. bis 11.10.2024 fand im Wasserspeicher im Prenzlauer Berg die Ausstellung NACHHALL des Berliner Klangkünstlers Tobias Euler statt. Im Mittelpunkt dieses erinnerungskulturellen Pro-jekts stand das Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors, der bereits unmittelbar nach dem Ende der Weimarer Republik begann, auch mitten in der Berliner Stadtgesellschaft. Eines der ersten Konzentrationslager befand sich 1933 in einem heute nicht mehr existierenden Gebäude auf dem Areal am Wasserturm im Prenzlauer Berg.
Mit dem Verschwinden der Generation der Zeitzeug:innen verändern sich die Ausdrucksformen von Gedenkkultur. Mit seinem genreübergreifender Ansatz verfolgte Tobias Euler das Ziel, her-kömmliche Wege des Erinnerns zu erweitern. Dazu wurden Ausdrucksformen der Klangkunst auf einen historischen Kontext übertragen. So ließ Tobias Euler im Gewölbe des ehemaligen Wasser-speichers einen Klangraum entstehen, der zu einer assoziativen Auseinandersetzung mit einem Kapitel Berliner Stadtgeschichte einlud, das in Vergessenheit zu geraten droht. Dazu entwickelte der Künstler eine Installation digital gesteuerter Klangobjekte aus Fragmenten von Akkordeons, einem Instrument, das in der traditonellen Musik verschiedener nationalsozialistisch verfolgter Gruppen eine wesentliche Rolle spielt. Zu hören war eine Collage aus u.a. historischem Tonmate-rial, Alltagsgeräuschen aus den 1930er Jahren und den Klängen der Akkordeonmaschinen. Durch die Nachhallzeiten in der Gewölbearchitektur wurden Schallrefexionen zu einem Teil der Kompo-sition. Die Kontextualisierung erfolgte über Texte zum historischen Hintergrund, die sich im Ein- bzw. Ausgangsbereich der Ausstellung befanden, vor dem Zugang zum Klangraum mit der Instal-lation. Die Ausstellung war täglich außer montags von 15-20 Uhr geöffnet, der Eintritt war frei.
Wie geplant fand das Rahmenprogramm in Kooperation mit Historiker Niko Rollmann und dem Verein unter-berlin e.V. statt und umfasste einen Vortrag zu den Anfängen des nationalsozia-listischen Terrors in Berlin sowie eine Führung zu den historischen Spuren durch den Prenzlauer Berg.
1933 in Berlin. Früher NS-Terror in der Mitte der Gesellschaft.
Ein Akkordeon, fragmentiert, durch Gitter Klangbruchstücke spielend. Menschen fehlen. Schritte von Stiefeln knallen. Vorboten der Vernichtungsindustrie.
© Studio Euler
Programm:
Ausstellung vom 29.9. - 11.10.2024
Kleiner Wasserspeicher | Diedenhofer Str. 20, 10405 Berlin
Täglich geöffnet von 15.00 Uhr bis 21.00 Uhr (außer Montags)
Sonntag, 29.09.2024 16 Uhr Eröffnung der begehbaren
Klanginstallation, Eintritt frei
Samstag, 05.10.2024 14 Uhr Führung mit Historiker
Niko Rollmann durch den Prenzlauer
Berg zu den Spuren des NS-Terrors,
Startpunkt Ecke Schönhauser Allee/
Saarbrücker Straße, endet ca. 15 Uhr
in der Ausstellung im Kleinen Wasser-
speicher, Ticket buchbar über
www.unter-berlin.de
Sonntag, 06.10.2024 17 Uhr Vortrag mit Historiker
Niko Rollmann zu den Anfängen
des nationalsozialistischen Terrors
in Berlin, Eintritt 5 Euro
Freitag, 11.10.2024 19 Uhr Finissage mit Live-Performance
von Tobias Euler, Eintritt frei
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historischer Hintergrund
Die Wasserspeicher an der Belforter Straße im Prenzlauer Berg wurden ab 1853 als erste moderne Wasserversorgungsanlage Berlins eingerichtet. Sie sind ein historisch und architektonisch bedeutsames Zeugnis im Bemühen um die Verbesserung der Stadthygiene. Die Anlage am Wasserturm wurde ab 1914 heruntergefahren und über die folgenden Jahrzehnte hinweg für verschiedene Zwecke genutzt. Heutzutage dient sie als Kulturort. Zu diesem Industriekomplex gehörte auch das sogenannte „Maschinenhaus I“, das vor Ort eine traurige Berühmtheit erlangt hat.
Anfang 1933 gelangte Hitlers NSDAP in Deutschland an die Macht. Mit enormer Geschwindigkeit zerstörte sie innerhalb weniger Monate das demokratische System. Ab Februar/März des Jahres entstanden in deutschen Städten zahlreiche „wilde“ Konzentrationslager – wobei dieser oft benutzte Begriff nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es sich dabei um systematischen Terror handelte, der primär das Ziel hatte, die politische Gegnerschaft des Nationalsozialismus im wahrsten Sinne des Wortes zu zerschlagen. Zugleich sollte dieser Terror auch eine abschreckende Wirkung haben und die Allmacht des neuen Regimes demonstrieren.
Wer gehörte zu den Inhaftierten dieser frühen KZs? Überwiegend waren es Kommunist:innen, Sozialist:innen, Sozialdemokrat:innen, Anarchist:innen, Gewerkschaftler:innen, homosexuelle Menschen und Bürger:innen jüdischen Glaubens. Hinzu kamen auch missliebige Journalist:innen und Anwält:innen sowie sonstige Personen, die die örtlichen Nazis „auf der schwarzen Liste“ hatten. Darüber hinaus beglichen einzelne SA-Mitglieder bei dieser Gelegenheit auch persönliche Rechnungen oder nutzten die Situation, um Menschen Geld abzupressen.
In diesem Zusammenhang wurde auch das erwähnte „Maschinenhaus I“ am Wasserturm im Februar 1933 von der SA in Beschlag genommen und ab dem folgenden Monat zur Inhaftierung und Misshandlung von Menschen genutzt. Die Gefangenen wurden u.a. mit Peitschen, Schlagstöcken und Knüppeln gequält. Nachbarn hörten Schmerzensschreie der Opfer, auch Pistolenschüsse waren zu vernehmen. Zudem konnte man hören, dass die Inhaftierten Nazilieder singen mussten. Wieviele Menschen dort misshandelt und getötet wurden, ist nicht genau bekannt.
Nach wenigen Monaten wurden die meisten dieser frühen Lager wieder aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Terror sein erstes Ziel bereits erreicht: Die gegnerischen politischen Kräfte waren weitgehend vernichtet, das neue Regime saß fest im Sattel. Danach wurde der Terror im Sinne der rassistischen Ideologie weiter ausgedehnt und institutionalisiert. Außerhalb der Städte entstanden nun die großen Konzentrations-
lager, deren Namen heutzutage den Schrecken des Nationalsozialismus symbolisieren.
Die frühen Stätten des nationalsozialistischen Terrors, die KZs der ersten Generation, gerieten danach zumeist in Vergessenheit. Dieses „Vergessen“ hatte für die Menschen, die in der Nachbarschaft lebten, eine Art psychohygienische Funktion. Denn die reine Existenz dieser Haft- und Folterstätten spricht dafür, dass ein großer Teil der städtischen Bevölkerung wusste, dass es sich bei der NS-Herrschaft von Anfang an um eine äußerst brutal agierende Diktatur handelte. Dieser Tatsache wollte die deutsche Gesellschaft vermutlich lange nicht ins Auge sehen. Wohl auch deswegen richtete sich der Blick der Forschung erst relativ spät auf diesen frühen NS-Terror.
Das Konzentrationslager im „Maschinenhaus I“ am Wasserturm im Prenzlauer Berg war nur einer von vielen Orten des frühen nationalsozialistischen Terrors in Berlin, mehr als 220 dieser Haft- und Folterstätten sind dokumentiert. Nach der Schließung des Lagers auf dem Wasserturmgelände im Juni 1933 wurde das Gebäude noch eine Zeit lang von der SA genutzt und im Jahre 1935 schließlich abgerissen. Die örtlichen Behörden ließen dort 1950 einen ersten Gedenkstein errichten, 1981 gefolgt von einer Gedenkwand, in typischem DDR-Deutsch dem Widerstandskampf gewidmet. Sie wurde 2005 um eine weitere Tafel mit größerem Informationsgehalt ergänzt. Diese ist über die Jahre mehrfach beschädigt worden – im Februar 2024 so stark, dass sie erst einmal entfernt werden musste.
Im Nationalsozialismus kamen zwischen 1933 und 1945 über sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens ums Leben. Zu den weiteren zahlreichen Opfern gehörten Sinti:zze und Rom:nja, homosexuelle und andere queere Menschen, Zwangsarbeitende, Menschen aus Osteuropa, obdachlose Bürger:innen, Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, kranke Menschen, Angehörige religiöser Gruppen wie die Zeugen Jehovas, politisch Andersdenkende und viele mehr.
Niko Rollmann, Historiker
Floor plan
of small water reservoir
(source: Förderband e.V.)
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Der Historiker Niko Rollmann ist in der politischen Erwachsenenbildung, als Stadtführer und als Schriftsteller tätig. Zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten gehören unterirdische Architektur, die Geschichte Berlins und Obdachlosigkeit. Seine Publikationen umfassen Bände wie "Die Stadt unter der Stadt" und "Unter Berlin" (Jaron Verlag). Im Jahre 2004 gehörte er zu den Mitbegründer:innen des Vereins "unter-berlin", dessen Erster Vorsitzender er ist. Auf historischen Rundgängen führt er regelmäßig Gruppen durch den Prenzlauer Berg und andere Teile Berlins.
Fotos: ©Udo Siegfriedt
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Das Rahmenprogramm erfolgt in Kooperation mit Historiker Niko Rollmann und dem Verein unter-berlin e.V.
Gefördert von:
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